Die Arbeit mittels positiver Verstärkung – bloß eine Trainingsmethode oder eine Lebenseinstellung?

Ein Gastbeitrag von Eva-Maria Zentes | GleichSinn

Positive Verstärkung ist ein großartiger Weg, um Pferde zu motivieren und ihnen Dinge ohne Zwang beizubringen. Mittels positiver Verstärkung können wir erwünschtes Verhalten festigen und das Erscheinen von unerwünschtem Verhalten (fast) ausschließen.

Aber, Moment: Positive Verstärkung, das war doch die Sache mit den Leckerlis oder?! Richtig.

Mein Weg zum belohnungsbasierten Pferdetraining

Und schon stehen sich zwei große Lager gegenüber: die Leckerli-Fans und die Leckerli-Verweiger:innen.

Lasst euch nun von einer ehemaligen Leckerli-Verweigerin mit auf eine kleine Reise in die Welt des belohnungsbasierten Pferdetrainings nehmen.

Es ist wahr. Ich habe früher vollständig ohne Leckerlis gearbeitet und war davon auch fest überzeugt. Futter gab es für die Pferde ausschließlich aus ihren Schüsseln, niemals aus der Hand. Ich besaß gar keine Leckerlis und lobte ausschließlich verbal oder durch Kraulen.

Die Gründe? Werden den anderen Leckerli-Verweigerer:innen da draußen bestimmt bekannt vorkommen: Ich wollte keine bettelnden, aufdringlichen oder gar schnappenden Pferde um mich herumhaben. Davon hatte ich schon zu viele erlebt. Zudem sollten die Pferde um meinetwillen mit mir zusammenarbeiten und nicht aufgrund von Futter, an das sie durch mich herankommen wollen. Das Pferd sollte mich nicht als wandelnden Futterautomaten betrachten, der ihm dient.

Heute muss ich über die fast schon romantische Vorstellung schmunzeln, dass das Pferd mich so sehr liebt, dass es einfach alles für mich macht, nur um mir zu gefallen. Der Gedankengang ist insofern nachvollziehbar, als sich die meisten Menschen nach einer tieferen Verbindung zu ihrem Pferdefreund sehnen. Für mich ist das auch heute noch stets mein Ziel – aber mein Blickwinkel hat sich geändert.

Ich möchte gar nicht bestreiten, dass es nicht auch Pferde gibt, die viel Bewegungsfreude mit sich bringen und die zudem einfach gefallen wollen. Ich kenne solche Pferde persönlich. Für sie ist es das Größte, etwas mit dem Menschen zu machen – egal was und fast egal wie.

Das betrifft allerdings die Minderheit unter den Pferden. Und selbst diese Pferde würden sich ehrlich freuen, wenn der Mensch ihnen ein kleines Dankeschön für ihre Großartigkeit überreicht.

Erinnern wir uns daran, woher Pferde kommen. Sie waren Steppentiere, die die meiste Zeit mit sehr langsamer Fortbewegung verbrachten, während der sie fraßen. Das Pferd war und ist grundsätzlich ein Energiesparer. Schnell und stark, das ist es auch – aber eigentlich nur im Fluchtmodus, beim Imponieren oder im Spiel, vorausgesetzt es gibt Ressourcen im Überfluss, sodass der Energieverlust nicht gefährlich werden kann.

Unsere Vorstellung einer gemeinsamen Freizeitgestaltung sieht jedoch oft ganz anders aus. Wir möchten Bodenarbeit machen, Longieren, Reiten oder Spazieren – natürlich bitte ohne Eigenbedienung des Pferdes am Gras. Wir möchten unser Pferd um seinetwillen auch gesunderhaltend trainieren.  Gymnastizieren ist wohl unerlässlich, immerhin haben wir mittlerweile genug körperliche Baustellen in unsere Pferde hineingezüchtet, um sie leichter bedienbar zu machen.

Für einen Energiesparer erscheint diese Energieverschwendung weder logisch noch attraktiv. Noch schlimmer ist es, wenn das Pferd als „Belohnung“ einfach nur ein Nachlassen des aufgebauten Drucks erhält. Bestenfalls mit einem Stimmlob oder Klopfen auf den Hals verbunden. Das ist aber kein Lob für das Pferd! Es ist das Vermeiden von Schlimmerem, mit daraus resultierender Erleichterung. Erleichterung ist keine Freude.

Aber wir möchten doch Freude! Wir möchten, dass unser Pferd wirklich gerne mit uns zusammen ist. Wir müssen anfangen, es mit einer realen Belohnung zu motivieren. Was eine Belohnung ist, entscheidet allein das Pferd! Wenn wir uns an das dauerhaft futtersuchende Steppentier erinnern, liegt schon auf der Hand, dass Futter ein primärer Verstärker ist. Futter wird als Belohnung angesehen, ist etwas Angenehmes, das müssen wir dem Pferd nicht erst beibringen. Futter ist bedürfniserfüllend und damit ein echter primärer Verstärker. Ein richtig wirkungsvolles Lob! Eines, das das Pferd versteht.

Und nein, das Pferd wird uns nicht als rangniederer empfinden, wenn wir ihm Futter „überlassen“. So denken Pferde nicht – so denken Menschen.

Positive Verstärkung als angenehme Konsequenz

Positive Verstärkung bedeutet gemäß Definition das Hinzufügen einer angenehmen Konsequenz. Das löst beim Pferd ehrliche Freude aus. Damit geht die Motivation einher, Das Verhalten, für das es die tolle Belohnung gab, gleich nochmal auszuführen, um ein weiteres Leckerli zu erhalten.

Nun ist es an uns, das alles in geordnete Bahnen zu lenken. Die Arbeit mittels positiver Verstärkung ist vorwiegend eine Arbeit an uns selbst. Das kann ich jeder:m versprechen. Wir müssen klar im Timing sein, klar im Trainingsaufbau und wir müssen lernen, ein erwünschtes Verhalten gegebenenfalls in ganz, ganz viele kleine Schritte aufzubrechen, sodass das Pferd motiviert bei der Sache bleibt und stetig Erfolge erzielt.

Damit wir dabei keine Schnappschildkröte kreieren, ist das sogenannte Höflichkeitstraining das A und O. Das ist die absolute Basis. Wenn die sitzt, werden selbst ehemalige Taschendurchwühler-Pferde zu den artigsten Vorzeige-Kandidaten. Wie toll ist es bitte, ein Pferd zu haben, das die Anwesenheit von Futter durch das Training gewohnt ist und eben nicht durchdreht, sobald irgendwo etwas Essbares auftaucht?!

Ganz nebenbei wird die Bindung zwischen unserem Pferdefreund und uns immens gestärkt. Weil wir endlich auf eine Weise mit ihm arbeiten, die er auch möchte. Die gemeinsam verbrachte Zeit ist lohnenswert und der Mensch ist der Partner, der gute Ideen hat, um den Alltag interessant zu gestalten. Die Pferde genießen diese Form der Zusammenarbeit und die für sie verständliche Kommunikation. Wer diese Motivation eines Pferdes einmal gespürt hat, möchte sicher nichts Anderes mehr. Sogar unsere romantische Vorstellung einer Verbundenheit wird dadurch erfüllt, wenn auch leicht abgewandelt: Das Pferd ist nun gerne mit uns zusammen, ganz einfach, weil wir sein Leben bereichern. Selbst, wenn es mal anstrengend wird, dranbleiben lohnt sich für das Pferd. Wir ändern also die ganze Basis des Umgangs zum Positiven hin.

Positive Verstärkung und Ihre Auswirkungen auf die PferdePsyche

Übrigens hat dies enorme Auswirkungen auf die Pferdepsyche. Die Pferde erleben Selbstwirksamkeit, werden selbstbewusster, mutiger, sie werden sogar richtig kreativ und so manches Pferd findet seinen Stolz und seine Anmut wieder.

Wirklich jedes Pferd kann mittels positiver Verstärkung trainiert werden. Bei depressiven Pferden kann es eine Weile dauern, bis sie anfangen, wieder aktiv am Leben teilzunehmen, aber wenn es geschafft ist, sind sie wie ausgewechselt und haben wieder Glanz in den Augen. Bei verhaltensauffälligen Pferden können wir das unerwünschte Verhalten dem erwünschten Verhalten weichen lassen. Das unerwünschte Verhalten wird nebenbei sogar ausgelöscht, da wir dem Pferd ein lohnenswertes Alternativverhalten gezeigt haben.

Ich empfehle jeder:m Pferdebesitzer:in, die:der an einer wahren Freundschaft ohne Zwang und Strafen interessiert ist, sich näher mit der Materie auseinanderzusetzen. Ihr wachst damit nicht nur in eurer Persönlichkeit, sondern verändert das gesamte Weltbild eures Pferdes.

An dieser Stelle möchte ich hervorheben, dass Positive Verstärkung wirklich gelernt sein will, genau wie jede andere Trainingsart. Mittlerweile gibt es zum Glück unzählige Bücher, Podcasts und Artikel über Positive Verstärkung – auch wir Trainer:innen werden immer mehr.

Auf dass die Welt für unsere Pferde bald viel schöner wird. Ich wünsche es mir so sehr, für Pferd und Mensch.

Ähnliche Beiträge